In diesen unsicheren Zeiten gibt es nicht mehr viele Länder, deren uneingeschränkter Freundschaft sich Deutschland sicher sein kann. Selbst das lange für unverbrüchlich gehaltene Schutzversprechen durch die Vereinigten Staaten steht bei einer zweiten Amtszeit von Donald Trump in Frage. Gut, dass wenigstens Vertreter der norwegischen Regierung die engen Bande zwischen Oslo und Berlin ohne Einschränkung hervorheben.
Der bisherige Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre gebraucht vor deutschen Journalisten das deutsche Wort „Freunde“ geradezu inflationär. Auf diese Freundschaft wird sich Deutschland in den nächsten Jahren verlassen müssen, denn ohne Norwegen sind die ambitionierten Klima- und Energieziele Berlins wohl nicht zu schaffen.
Bis zum russischen Überfall der Ukraine war die deutsch-norwegische Partnerschaft eine ungleiche Beziehung. Das Bruttoinlandsprodukt der 5,5 Millionen Skandinavier beträgt nur rund ein Zehntel des deutschen. Unter die 30 wichtigsten Exportmärkte für Güter „made in Germany“ schafft es Norwegen nicht. Doch kommt der parlamentarischen Monarchie aktuell eine Schlüsselrolle für den Umbau der deutschen Energiearchitektur zu.
In der Not als Lieferant zur Stelle
Norwegen war als Lieferant zur Stelle, der seine Lieferung kurzfristig um 10 Prozent erhöhte, als der Zufluss billigen Russengases versiegte und ein Kollaps der deutschen Industrie verhindert werden musste. Nun streckt es die Hand aus, um im Kampf gegen den Klimawandel die Wirtschaft zu dekarbonisieren.
Wenn am Sonntag die Hannover Messe ihre Türen öffnet, hätte es für die Industrieleitmesse kein passenderes Partnerland geben können als Norwegen. Rund 40 Aussteller werden erwartet aus dem Land, dem seine Öl- und Gasvorkommen einen gigantischen Reichtum beschert haben. Die Einnahmen speisen den 1,5 Billionen Euro schweren Staatsfonds, der zuletzt eine Rendite von 200 Milliarden Euro einfuhr.
Von solch einer Einnahmequelle kann Bundesfinanzminister Christian Lindner nur träumen. Doch der fossile Geldsegen ist endlich und für die grüne Transformation braucht auch Norwegen Partner. Zwar gibt es im Paradies der Tesla-Fahrer (80 Prozent der Neuzulassungen sind Elektrofahrzeuge) viele Unternehmen, die sich nachhaltige Technologien auf die Fahnen geschrieben haben. Doch fehlt es diesen Start-ups oft an industriellem Know-how, um ihre Geschäftsmodelle hochfahren zu können. Deutsche Partner können das.
Widerstand gegen Windenergie an der Küste
Milch und Honig fließen auch im Land der Fjorde und Gletscher nicht. Ist das Nicht-EU-Mitglied Norwegen heute dank fossiler Brennstoffe und Wasserkraft ein großer Energieexporteur, könnte es durch die Elektrifizierung der Wirtschaft und die Abkehr von Öl und Erdgas zumindest vorübergehend zum Nettoimporteur werden. Die Proteste wegen des steilen Strompreisanstiegs nach Kriegsausbruch zeigten, was passiert, wenn man in das gefühlte Grundrecht der Norweger auf günstige Energie eingreift.
Dass eine Energiewende nicht gegen die eigene Bevölkerung zu machen ist, hat die aktuelle Koalition verstanden. Die Pläne der Vorgängerregierung, die Küste mit Windenergieanlagen zuzubauen, stießen auf großen Widerstand. Deshalb sollen die Windräder nun auf schwimmende Inseln in der Nordsee gestellt werden. Für den geplanten Ausbau von rund 30 Gigawatt sind rund 1500 Anlagen nötig – eine gewaltige Aufgabe.
Dennoch gibt es für Minister Vestre, der nach einer aktuellen Kabinettsumbildung das Gesundheitsministerium führt, keine Alternative. „Wir müssen den Menschen zuhören“, lautet sein Botschaft, Klimamaßnahmen dürfen nicht zu weit weg vom Alltagsleben sein. Man hätte sich diese Erkenntnis mit Blick auf das unausgegorene Heizungsgesetz auch in Berlin gewünscht.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hat mittlerweile den Schulterschluss mit seinem norwegischen Amtskollegen gesucht. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe lotet im Rahmen einer strategischen Partnerschaft den Bau einer Pipeline aus, die den für Deutschland wichtigen Wasserstoff liefert – nicht nur die Stahlindustrie scharrt schon mit den Hufen.
Dabei geht es auch um „blauen“ Wasserstoff, dessen Herstellung zwar CO2 verursacht, das jedoch durch CCS-Technik abgeschieden und im Meeresboden eingelagert wird. Anders halten selbst Klimaforscher die Pariser Klimaziele für nicht erreichbar. Deutschlands größter Zementhersteller Heidelberg Materials investiert schon in eine Anlage in Brevik.
Wer hierzulande aus ideologischen Gründen dennoch auf grünen, durch erneuerbare Energie erzeugten Wasserstoff warten will, verspielt die Zukunft. Die Norweger beherrschen dank ihrer Erfahrung aus der Öl- und Gasindustrie die CCS-Technik, die aus ihrer Sicht der Schlüssel für effektiven Klimaschutz ist. Ihre deutschen Freunde sollten ihnen gut zuhören.